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Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten vom 02.08.2000

Wurstzipfel und Video

Herbert Wehner im Stuttgarter Kunstverein. - Die Szene könnte aus einem Film von Wim Wenders stammen: Etwa 50 Menschen stehen mitten auf der Straße, versperren den Autos den Weg und schauen wie gebannt in die Höhe. Grund des starren Blicks ist eine Ankündigung des Stuttgarter Kunstvereins: "Zur Eröffnung der Ausstellung lässt Herbert Wehner zwei Sony-Videorecorder aus dem Fenster werfen.'' Hanns Michael Rupprechter, Hauptorganisator des Kunstvereins, grinst: "Der Herbert Wehner ist ziemlich arbeitsfaul.''

Das kann man nur bestätigen. Selbst der Ausstellungstitel "Orfeus i. d. U-Hose'' ist abgekürzt. Und statt eigene Werke zu präsentieren, hat sich der Künstler zehn Kuratoren gesucht, die nun ihre Werke an der Fassade des Kunstvereins angebracht haben.

Steffen Schlichter hat ein Stück PVC-Folie zum Trocknen aus dem Fenster gehängt, Brigitte Pfaffenberger hat ihr Fenster mit zwölf Windfähnchen und dem Ausruf "eilt'' bestückt, Peter Haury eine mit Totenkopf verzierte Satellitenschüssel installiert. In Anspielung auf die zahlreichen Aufgaben, die ein Kunstverein heute erfüllt, hat Jürgen Kierspel die Schilder "Fortbildung'', "Direktberatung'' und "Umschulung'' über den Eingang gehängt. Mit seinen "Geranien''- Schrifttafeln präsentiert Andreas Bär eine zeitgemäße Version des schwäbischen Spießertums.

Gert Widmaier hat ein Dutzend Blutwurstzipfel an Super-8-Filmstreifen über den Bürgersteig gehängt. Was die wenigsten wissen: Von jeder Wurst, die er isst, bekommt Hanns Michael Rupprechter seit zwei Jahren den Rest per Post zugestellt. So befindet sich im Depot des Kunstvereins die weltgrößte Wurstzipfel-Sammlung.

Als Claude Horstmann schießlich mit einstündiger Verspätung die Videorecorder auf den Bürgersteig plumpsen lässt und eine Taschenbuchausgabe von Deleuzes "Lust und Begehren'' hinterher wirft, ist den meisten Besuchern klar, dass es sich bei Herbert Wehner um eine Kunstfigur handelt. "Herbert Wehner ist immer präsent, aber nie vorhanden'', bringt es Gert Widmaier auf den Punkt. Durch diesen Kunstgriff ist es Hanns Michael Rupprechter gelungen, den heutigen Einfluss der Kuratoren zu thematisieren. Die Performance kann man als Persiflage auf Wolf Vostell und die ewigen 60er-Jahre-Rückgriffe verstehen. mak

Bis 7. September, Filderstraße 7, durchgehend einsehbar, Infos unter Tel. 606867 und www.stuttgarter-kunstverein.org