Artikel aus der Stuttgarter Zeitung  vom 05.12.2002

Küsschen für Magdowski
Friedlicher Advent: der Kulturausschuss beschließt ein wenig

Es ist Advent. Vor dem Stuttgarter Rathaus spielen Mädchen "Ihr Kinderlein kommet" auf Blockflöten, damit recht viele Münzen klimpern in ihrem Pappschächtelchen.
Sie spielen falsch. Sie spielen Finanzierung. Und während sie spielen, ruft drinnen, im kleinen Sitzungssaal des Rathauses, die Stuttgarter Kulturbürgermeisterin Iris Jana Magdowski: "Ich vermisse die schillernde Persönlichkeit von Herrn Schretzmeier." Der Kulturausschuss des Stuttgarter Gemeinderates will tagen. Der Theaterhaus-Chef soll sein Konzept für den Pragsattel vorstellen. Aber er kauert ganz versteckt in seinem Stuhl.

Der Gerufene bemüht sich, der auf ihn gemünzten Personenbeschreibung gerecht zu werden und spreizt deshalb den Zeige- und den Mittelfinger zum Victory-Zeichen ab. Dann verlässt er seinen Sitzplatz ganz hinten im Publikum und begibt sich lächelnd nach vorne, zur Stadtverwaltung. Er drückt der verblüfften Iris Jana Magdowski einen Kuss auf die Wange. Die Geküsste sagt, dass Schretzmeier sich setzen solle. Sie sagt auch: "Ab einem gewissen Alter werden Männer Charmeure."

Werner Schretzmeier ist 58 Jahre alt und weiß, wie man erzählt, wie grandios das alles wird, vom 29. März 2003 an im Theaterhaus auf dem Pragsattel. Theater, Tanz, Heinz Rudolf Kunze, Gerhard Polt. Und die Biermösl Blosn. Und zwischen den Kulturen recht viel Sport. Von 91 Wochenstunden für Freizeit-, Behinderten und Firmensportler seien bereits 25 vergeben. Dieter Hildebrandt, Musik der Jahrhunderte. Schretzmeier hat ja nur zehn Minuten. "Ich hätte nie gedacht,
dass sie im zeitlichen Rahmen bleiben", sagt Iris Jana Magdowski hinterher, "gratuliere!"

Hernach erläutert Christine Fischer, die Managerin des Untermieters Musik der Jahrhunderte, ihre Pläne. Eine  "Spionage" getaufte Veranstaltungsreihe soll den Blick hinter die Kulissen der neuen Musik ermöglichen; die Reihe "Beginner" offeriert Einsteigerkonzerte. Dazu das Festival "Eclat" (Michael Kienzle, der kulturpolitische Sprecher der Gemeinderatsfraktion der Grünen, schlägt vor, Festivals "Krawall" zu nennen). Klingt gut. Da fällt"s kaum ins Gewicht, dass Willi Friedmann, der Verwaltungsleiter des Theaterhauses, Fehlendes auflistet: vier unbesetzte Stellen bei gerade mal 39 Beschäftigten, drei Lehrlingen, einem Praktikanten. Und man habe immer noch keinen Mietvertrag von der Stadt, was den Abschluss von Sponsorenverträgen erheblich erschwere.

Halb so schlimm. Iris Jana Magdowski sagt: "Für mich ist völlig  klar - das Theaterhaus hat sich weiterentwickelt. Gratuliere, Herr Schretzmeier." Dann schaut die geküsste  Kulturbürgermeisterin den Kulturamtsleiter Wolfgang Ostberg strafend an und fragt ihn, ob die zum Mietvertrag fehlenden  Unterlagen denn tatsächlich bis Januar vorlägen. Ostberg (der kundtut, gerne städtische Konzerte mit den Stuttgarter  Philharmonikern im neuen Theaterhaus veranstalten zu  wollen) sagt, er denke schon. Dann fügt er an: "Herr Könneke, können sie das präzisieren?" Könneke, Achim, Stellvertreter Ostbergs und auf dem Sprung nach Freiburg, kann: Wenn die Wirtschaftsprüfer rechtzeitig prüfen und das Liegenschaftsamt rechtzeitig rechnet, dann wird der Zeitplan eingehalten. Die Kulturbürgermeisterin gibt sich zufrieden. Es ist Advent. Die eingeladenen Mitglieder des Verwaltungs- und des Sportausschusses dürfen gehen. Schretzmeier auch.

Tagesordnungspunkt zwei: "Gesamtkonzeption zur Förderung der Popularmusik in der Stadt Stuttgart". Man freut sich für Mannheim, wo bald die Popakademie hinzieht. Man sagt, dass die kommunale Popförderung ohnehin viel wichtiger sei als die Akademie. Man hat im Kulturamt ein Förderungskonzept erarbeitet, mit einem "Popbüro" als Herzstück. Im Jahr 2003 soll das alles 65 700 Euro kosten, in den Jahren 2004 bis 2006 würden jährlich 163 000 Euro anfallen. Weil das richtig viel Geld ist, hat die Finanzverwaltung einer Beschlussvorlage hinsichtlich der Popförderung gar nicht erst zugestimmt. Man belässt es deshalb vorerst bei einer Mitteilungsvorlage. Der Vorteil: man muss nicht abstimmen. Man will erst mal schauen, wo man andernorts sparen kann.

Man muss aber auch über Beschlussvorlagen nicht unbedingt abstimmen. Vor allem dann nicht, wenn die politischen Parteien einträchtig um Verschiebung bitten, weil man sich noch nicht sicher ist, ob man den Kulturmarkt 2003 so haben und fördern möchte wie in den Jahren zuvor. Wolfgang Milow, der Sprecher der "sachkundigen Bürger" im Kulturausschuss, gibt denn auch zu bedenken, ob ein zweijähriger Turnus nicht sinnvoller wäre als der bisher praktizierte jährliche. Dann aber mehr Kultur. Weniger Tapeziertische in weißen Schlauchzelten. Man beschließt nicht. Man verschiebt.

Und beschließt dann doch, nämlich, dass der Feuerwehrverein Stuttgart für 2002 und 2003 einen jährlichen Zuschuss von je 112 500 Euro erhält. "Das Einzige, das wir heute einstimmig beschlossen haben", freut sich Iris Jana Magdowski, die geküsst wurde von Werner Schretzmeier, der ein Victory-Zeichen zeigte. Es tagt der Kulturausschuss. Es ist immer noch Advent. Aber die Blockflötenspielerinnen sind nach Hause gegangen.