home
archiv
wildcard
shop
aktuell
projekte
links
impressum
Die Projektidee des hier Vorstellenden haben wir auf einem Abfallhaufen gefunden. Dort landeten ein altes Familienalbum mit Fotos aus der Zeit vor der Revolution, Puppen mit abgerissenen Armen, Köpfen, Beinen sowie ein dünnes Buch von Pisani „Etymologie“. Das Buch haben wir mitgenommen, das Album durchgeschaut und zurückgelassen – fremdes Leben, die Puppen sind im Gedächtnis haften geblieben. Eine Woche lang haben wir Pisani sowie unsere alten Fotoalben studiert und haben die eigene Ehefrau beobachtet. Am achten Tag machten wir eine Entdeckung. Am neunten Tag haben wir ein kurzes Autorenreferat geschrieben. Danach begannen wir fotografieren. Sie sehen den ersten Teil eines sehr großen Projekts. Auf getönten Bildern sind Körperteile von „Irotschka“ dargestellt, auf schwarz-weißen Bildern Handlungen, Eigenschaften, Fähigkeiten einer Kreatur, deren Benennungen als Grundlage für die Bezeichnungen der Körperteile dienten. Der erste Teil berührt ausschließlich russische Rekonstruktionen, allerdings nicht im vollen Maße. Auf einem Blatt Papier sind turkische, kartwelische, semito-chamitische, drawidische, altaiische Rekonstruktionen dargestellt. Unter jeder Rekonstruktion ist im folgenden eine darstellende Situation zu verstehen.

- II -
Wie bekannt, weist eine Sprache Wortarten auf. Die einen benennen Eigenschaften und Fähigkeiten einer Kreatur, die anderen bezeichnen den Gegenstand. Das alles haben sich die Sprachwissenschaftler ausgedacht, aber es erleichtert das Leben. Beneidenswerterweise umgibt sich der Mensch hartnäckig mit einer äußeren gegenständlichen Grundlage, indem er seine Fortsetzung im Gegenstand findet. Er vermehrt ihn, ändert ihn ab, verändert ihn mit allen möglichen Mitteln – versucht die Vollkommenheit zu erreichen. Er selbst aber bleibt unverändert. Ohren, Hände, Bauch, Beine, Fersen – dies alles existierte und existiert weiterhin  wie eine beneidenswerte Kontinuität. Bezeichnungen für Körperteile gehören zur ältesten Lexikschicht. Indem der Mensch die Körperteile bezeichnet, benutzt er den gleichen Mechanismus wie bei der Bezeichnung eines jeglichen Gegenstands. Ein Gegen-stand ist nichts anderes als eine verwandelte Form seiner Fähigkeiten und Eigenschaften. Dementsprechend ist die Bezeichnung eines Gegenstands das Wesen umgewandelte Form der Eigenschafts- und Fähigkeitsbezeichnung.

Zum Beispiel:

1. Bezeichnung  * (s)ker – ‚biegen, verbiegen’    > russisch ?????? (Rückgrat)
2. Bezeichnung  * el-          ‚verbiegen’                  > russisch ?????? (Ellenbogen)
3. Bezeichnung  * leik-        ‚biegen, umbiegen“    > russisch ???? (Gesicht)
4. Bezeichnung  * ghel-       ‚glänzen’                    > russisch  ?????? (Kopf)
5. Bezeichnung  * bed-/*bod-  ‚schlagen, spalten’ > russisch ????? (Hüfte)

Gleichzeitig haben wir auch:

Bezeichnung  *sek – ‚fühlen, empfinden’        > deutsch sehen
                                                                        > deutsch Gesicht
Bezeichnung  *ster( ) – ‚verbreiten, verteilen’ > deutsch Stirn
Bezeichnung  * leubh – ‚entrinden, schälen (Obst), brechen, beschädigen
    > russisch Stirn
Bezeichnung  * el- ‚gebogen, biegsam’            > deutsch Elle f

Wie man sieht, kann man sogar innerhalb einer Sprachfamilie (hier Indogermani-sche) folgende Besonderheiten beobachten:

- die gleiche Bedeutung, z.B.  ‚biegen’ wird mit unterschiedlicher Urlauthülle versehen
- die gleiche Urlauthülle diente als Grundlage für die Bezeichnung der Körperteile in verschiedenen Sprachen
- der gleiche Gegenstand entspricht in verschiedenen Sprachen unterschiedlichen Urlauthüllen, die unterschiedliche Bedeutungen haben (Vergleiche deutsch Stirn < Bezeichnung  *ster( )   russisch ??? (Stirn)
< Bezeichnung  *leubh-