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JULIA SCHRADER

> Am  Abend des achten Tages <

 zur eroeffnung am

mittwoch, 23.november 2011, 20 h
hatten wir eingeladen

bis 19. januar 2012 konnte
besichtigt werden


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Julia Schrader "Am Abend des achten Tages"

Am Abend des achten Tages, berichtet uns die Schöpfungsgeschichte, sah Gott an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. So gut scheinbar, dass bereits am siebten Tag die Arbeit ruhte. Und doch: Bereits gar nicht so furchtbar viel später ergab sich die Notwendigkeit drastischer und schmerzlicher Korrekturen (1.Mose 3,14-24, 1.Mose 6,3, 1.Mose 7,17-24, 1.Mose 19,24.25 ...), und allein in diesem Jahr sind es bis jetzt 17291 Tier- und Pflanzenarten, die als akut vom Aussterben bedroht registriert sind.

Da trifft es sich gut, dass es die Bildhauerin Julia Schrader gibt, die mit einer Vielzahl ihrer merkwürdigen Misch- und Fabelwesen, für die sie in der Natur vorgefundene Materialien wie Krebsscheren, Rocheneier, Pferdehaar u.v.m. aber auch selbstgeformte Keramikstacheln oder Teile von Puppen oder Plastiktieren verwendet, demonstriert wie weit es ein Schöpfer hätte bringen können, hätte er nur ein paar kreative Tage drangehängt, gleichsam ein ganzes Universum aus lauter missing links vor unseren Augen zu erschaffen.

Im Rahmen ihrer Ausstellung im Stuttgarter Kunstverein zeigt die Künstlerin eine Auswahl ihres Schaffens, die ausnahmslos diesen Bezug zu Flora oder Fauna hat.

Da wäre zunächst die Werkgruppe der Mermaids Purses, einzelne auf stoffbezogene Grundplatten aufgespießte Gebilde, die an zur Schau gestellte kostbare Schmetterlinge erinnern mögen. Die Bezeichnung Mermaids Purse bezieht sich dabei auf die so benannten Hüllen von Hai- oder Rocheneiern, die ursprünglich bei jedem der geschaffenen Objekte den Ausgangspunkt und Grundkörper für Julia Schrader bildeten. Inzwischen werden sie teilweise durch selbst modellierte Kunststoffleiber, die ein noch extravaganteres Formenspiel erlauben, ersetzt. Man nähert sich diesen Arbeiten mit einem neugierigen quasi wissenschaftlichen Blick und ist, nach einer ersten Analyse der verwendeten Materialien und der Vorgehensweise der Künstlerin, sofort und unwillkürlich versucht, diese seltsamen Launen der Natur gedanklich zum Leben zu erwecken, aufgrund ihrer Gestalt Rückschlüsse auf Fortbewegungsform, Nahrung und Lebensraum zu schließen und in der Zusammenschau der Werke mögliche Verwandtschaften oder ganze Evolutionslinien auszumachen. Und wenn der Blick von den Glasaugen einzelner dieser Tierchen erwidert wird, womöglich ein gewisses Unbehagen über den eigenen momentanen Entwicklungsstand ausdrückend, dann mag sich fast so etwas wie Empathie einstellen.

Werden bei den Mermaids Purses sich eher passiv zur Schau stellende Einzelwesen fokussiert, bietet uns eine andere Gruppe von Werken einen überfassenden Überblick einer ganzen, vielleicht vorsintflutlichen, vielleicht postapokalyptischen, jedenfalls fantastischen Landschaft, die bevölkert ist von einer Vielzahl ganz unterschiedlich dimensionierter Lebensformen, von denen einige der größeren in enger Kommunikation und Interaktion zu stehen scheinen. Die jeweils 15 mal 15 cm großen, mit einer Schicht aus fleischfarbenem Silikon überzogenen Bodenplatten ermöglichen ein variables, je nach Ausstellungssituation entweder reduziertes oder ergänztes Szenarium mit immer wieder neuen Konstellationen. Einzelne der dargestellten Wesen sind mit einer weißen Lackschicht überzogen, so dass ihr Montiertsein aus den verschiedenen Materialien graduell verschleiert wird und Assoziationen zu pozellanenen Nippesfiguren erweckt werden. Umso befremdlich beunruhigender ist die Wirkung auf den Betrachter, taucht er erst tiefer in die Welt dieser sonderbaren Mutanten ein.

Dann wäre da noch dieses wolfsähnliche Wesen, das aber durchaus menschliche Hände und Füße hat, sozusagen lebensgroß, mit einem Fell aus Pferdehaaren ausgestattet, das voller Elan von einer Stuhllehne aus auf uns zustürzt und, weil es so groß und tatsächlich existierenden Säugetieren so ähnlich ist, als Mittler zwischen dem Ausstellungsbesucher und dem ausgestellten Kosmos fungiert.

Die plastischen Arbeiten werden ergänzt durch eine Reihe von Farbstiftzeichnungen, in denen nun schließlich auch menschliche oder zumindest menschenähnliche Figuren auftauchen. Doch auch sie erscheinen seltsam gefährdet: Nackt, teilweise skelettiert, dann wieder mit obskuren fragilen Auswüchsen versehen, die sowohl als Hirngespinste aber auch als bedrohliche Wucherungen oder energiezehrende Parasiten (oder sind es im Gegenteil externe Energiespeicher) interpretiert werden können. Der zarte Strich und die sensible zurückgenommene Farbigkeit unterstützen in diesen Zeichnungen den Eindruck der Verletzlichkeit, der diesen Hominiden eignet.

Die beiden Räume des Stuttgarter Kunstvereins sind das ziemlich genaue Gegenteil des von vielen Künstlern als Ausstellungsort favorisierten White Cube, und die opulente Möblierung zwischen Empire und 70er-Jahreästhetik sowie die zahlreich vorhandenen Relikte vergangener Ausstellungen und sonstiger hier stattgefundener Ereignisse mögen es mitunter, zumal dem Besucher der die Örtlichkeit zum ersten Mal betritt, erschweren, die ausgestellten Exponate als solche zu identifizieren oder zu einer konzentrierten Rezeption der Kunst zu finden. Für Julia Schrader bieten diese ansatzweise "zugewachsenen" Räumlichkeiten indes ein ideales Biotop zur Beherbergung und Inszenierung ihrer ausgestellten Kunstwerke. Einrichtung und Ausstellungsstücke verschmelzen zu einer atmosphärisch dichten Installation, die entweder an eine etwas in Unordnung geratene Wunderkammer, oder vielleicht noch mehr, an Lager und Studierstube eines verschrobenen Wissenschaftlers (heiße er nun Faust, Frankenstein oder auch ganz anders) erinnert. Wir lassen unseren eigenen Forscherblick über diese kreative Überfülle gleiten, betrachten die zahllosen Details aus der Nähe, und siehe, es ist wirklich alles sehr, sehr gut.
HANS PFROMMER

wir danken der LANDESHAUPSTADT STUTTGART und dem LAND BADEN-WÜRTTEMBERG