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Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 25.03.2002 | Schokoladenrausch | "Sacher aller Arten" im Stuttgarter Kunstverein

Eines Tages ist sie einfach weg, die Unschuld, die das Leben so unkompliziert scheinen ließ. In Krisensituationen muss dringend was Süßes her, um die Nerven zu beruhigen. An dieses Heilmittel hält sich auch Ingrid Schütz, deren Fall derzeit im Stuttgarter Kunstverein in der Ausstellung "Sacher aller Arten" dokumentiert wird. Auf 66 zu Friesen arrangierten Fotografien wird gezeigt, wie die Künstlerin getreu dem Motto "Ende der Unschuld - red room" mit Sachertorte, Sahneschnitten oder ungarischem Salonzucker (eine Art Fondant mit Schokoüberzug) auf Tisch und Boden eine regelrechte Fressorgie veranstaltet. Dieses solistische Kaffeekränzchen findet im rot getünchten Salon statt, und die Protagonistin ist passend dazu mit roten Spitzenstrümpfen, roten Pumps, roter Kette, rot-weiß gepunktetem Kleid sowie passendem Haarband ausstaffiert.

Der Aufzug stammt aus Ingrid Schütz umfangreicher Kollektion gepunkteter Objekte und erinnert nicht nur an die Mode der fünfziger Jahre, sondern auch an Kinderspielzeug oder Nabokovs Kindfrau Lolita. Kein Zufall, schließlich geht es der Punktesammlerin um die Zweischneidigkeit des Daseins. Im Fotoleporello "Hasenliebe" der in Stuttgart und Berlin lebenden Künstlerin schlüpfen Madenmassen aus einem Schokohasen, verkörpern schachtelartige Ölbilder mit dickflüssigen Pralinenmotiven als "Geschmack der Erinnerung" Verführung und Abstoßung oder symbolisieren die in Leuchtkästen stattfindenden Schoko - "Käfertreffen" Glück und Bedrohung zugleich. Und körperliches Unbehagen. Wer kann schon kiloweise Schokolade verspeisen, ohne dass ihm schlecht wird?

Ingrid Schütz offenbar. Den Inhalt der leeren Pralinenschachteln oder der Kuchenförmchen ihrer Installation "Sacher aller Arten" hat sie angeblich persönlich verdrückt und den Rest dann mit Plüschhäschen oder Devotionalienfotos arrangiert. Süßwaren-Fetischismus oder künstlerischer Masochismus? Wer weiß, Ingrid Schütz jedenfalls will mit ihren Ansammlungen, Aktionen und Arrangements die persönliche Erinnerung, die Gefühle und den Geschmack des Betrachters ansprechen. Was ihr so gut gelingt, dass man nach dem Besuch der Schau erst einmal allem Süßen abschwört.

Bis 18. April, Filderstraße 34, 0711/606867, http://www.stuttgarter-kunstverein.org

Von Petra Mostbacher-Dix