|
|
|
|
|
|
|
|
|
Shiryaevo-Revue im Stuttgarter Kunstverein
»Naja Du, Ataman oder wie, Brüder, Uns
hast du vertauscht gegen das Weib! Eine Nacht mit ihr verbracht - Am Morgen
selbst zum Weib geworden... «.
So lautet eine Strophe des russischen Volksliedes »ls-sa Ostrova«. Elf hat es insgesamt. Und die Vier, die da prozessionsartig an den Strand und hinein in die Wolga schreiten, singen
alle in russisch, obwohl sie Deutsche sind. Mit Inbrunst intonieren sie die
Geschichte eines donkosakischen Seemanns, der eine persische Prinzessin
heiratet und diese dann in die Wolga schmeißt, weil sich die Freunde über ihn
und seine Angetraute aus einer anderen Kultur lustig machen. Die Frauen am
Wolgastrand freilich nehmen selbstbewusst das Ende in das eigene Land, gehen
singend so weit ins Wasser, bis sie unter dessen Oberfläche verschwinden.
Hinter der Performance, die im August 2011 in der Region um Samara, der
Partnerstadt Stuttgarts, stattfand, stecken Ptize alias Martina Geiger-Gerlach,
Barbara Karsch-Chaieb, Rosa Rücker und Kathrin Sohn. Die Aktion der
Künstlerinnen war ein Beitrag zur »VII Shiryaevo Biennale of Contemporary Art,
für die der Macher des Stuttgarter Kunstvereins, Hanns-Michael Rupprechter, den
deutschen Beitrag kuratierte. Die Biennale bringt alle zwei Jahre
kunstschaffende und -interessierte Menschen aus aller Welt in das
400-Seelen-Dorf Shiryaevo, wo die Teilnehmer zu einem Thema arbeiten. Und 2011
lautete das Motto »Strangers«. Wir waren damals im wahrsten Sinne des Wortes
in der Fremde und Fremde für die Dorfbewohner, erzählt Katrin Sohn.
Martina Geiger-Gerlach fährt fort: Wir verstanden die Sprache nicht.
Und Barbara Karsch-Chaieb ergänzt: ... und uns untereinander kannten wir auch
nicht. Zweieinhalb Wochen lang sollten sie gemeinsam in einer alten
Datscha mit Plumpsklo, ohne fliessend Wasser, dafür mit Wasserpumpe im Garten
künstlerisch zugange sein. Sie waren sich schnell einig, dass sie vor allem den
Menschen vor Ort, die sich freilich weit weniger um die Biennale scherten als die
Zugereisten, begegnen, ihre Kultur und Tradition entdecken wollten. So kamen
wir auf das Singen als eine Möglichkeit, Gemeinschaftsgefühl und Kontakte zu
schaffen sowie Sprachbarrieren zu überwinden, sagt Rosa Rücker.
Zusammen habe man erst einmal mit dem
deutschen Volkslied »Die Gedanken sind frei« die eigene Stimmgewalt getestet,
bevor man die Nachbarn und Vermieter, Elsa und Vladimir, zu einem Singabend
einlud und sie bat, ihnen ein russisches Volkslied beizubringen. So erlernten
sie das Lied »ls-sa Ostrova«, traten als Ptize im Radio und dem Kirschfest im
Nachbardorf mit viel Leidenschaft auf. Daran hat uns Vladimir immer erinnert,
schmunzelt Barbara Karsch-Chaieb. Nicht nachvollziehen konnte er indes, dass
die Künstlerinnen das Ende der Geschichte nicht mochten und ihr eigenes
gestalteten. Wir wollten nicht westlich besserwisserisch auftreten, aber doch
unseren eigenen Standpunkt vertreten, betonen die Künstlerinnen. Von 9.
bis 21. März sind Film, Fotos der Performance, eine Installation sowie
weitere Einzelwerke der Vier und von Hanns-Michael Rupprechter zu sehen: Im
Stuttgarter Kunstverein wird die »Is-sa Ostrava... Shiryaevo-Revue«
präsentiert.
Petra Mostbacher-Dix, SuR, KulturPolitik für Stuttgart und Region,
Ausgabe 20, Feb/März 2012
|